Tragfähige Entscheidungen in Gruppen treffen: Systemisches Konsensieren

Vom 22.03. bis 24.03.2018 habe ich beim Herbert-Wehner-Bildungswerk e. V. an der Weiterbildung Systemisches Konsensieren bei der in Berlin lebenden Konsenslotsin Adela Mahling teilgenommen und bin total begeistert und inspiriert: Das Systemische Konsensieren ist ein konsensnahes Verfahren für Gruppen, um Entscheidungen zu treffen, die tragfähiger sind als solche, die über Mehrheitsentscheidungen entstehen.

Es gibt vier wesentliche Punkte, die dem Verfahren innewohnen, von denen ich sehr begeistert bin. Diese möchte ich, soweit ich sie richtig erfasst habe, an dieser Stelle unbedingt weitergeben:

Begeisterungspunktnummer 1

Am meisten bin ich davon begeistert, wie das Verfahren für mich mit der Haltung der Gewaltfreien Kommunikation harmoniert: „Systemisch“ wird der Prozess nämlich genannt, „weil er systembedingt zu einem konstruktiven und kooperativen Verhalten aller Beteiligten führt“ (SK-Prinzip). In Abstimmungen, die bspw. auf Mehrheitsverfahren beruhen, geht es den meisten darum, ihren (Lieblings-)Vorschlag durchzubringen. Dabei macht strategisches Abstimmen, Konkurrenzdenken, sich gegen andere (Vorschläge) durchsetzen wollen und diese „schlecht machen“ total Sinn. Beim Systemischen Konsensieren wird dieser Mechanismus ausgehebelt: Die Gruppe lernt, dass „Kampf“ keinen Sinn macht, sondern die gemeinsame Suche nach einer Lösung die besten Ergebnisse bringt.

Wie funktioniert das? Beim Systemischen Konsensieren werden zunächst alle Vorschläge, die in einer Gruppe da sind gesammelt. Zu jedem Vorschlag werden dann die Einwände/Widerstände, die jede/-r in Bezug auf jeden einzelnen Vorschlag hat, abgefragt: „Also wenn du daran denkst, dass Vorschlag A umgesetzt wird, wie viele Einwände/Widerstände hast du (auf einer Skala 0 bis 10 bzw. 0 bis 3)?“ Dies wird für alle Vorschläge einzeln gemacht. Die individuellen Einwände/Widerstände zu den einzelnen Vorschlägen werden dann jeweils addiert. Auf diese Weise wird sichtbar, welcher Vorschlag, den geringsten Gesamtwiderstand in der Gruppe und damit die höchste Akzeptanz hat.

Klar kann bei der Einführung des Verfahrens in einen Gruppenkontext noch strategisch abgestimmt werden: Ich kann meinem Lieblingsvorschlag (B) 0 Einwände/Widerstände geben und den anderen bestehenden Vorschlägen (bspw. A, C, D, E), meinen höchsten Einwand/Widerstand (je nach Skala 10 bzw. 3 Einwände/Widerstände). Jedoch spätestens dann, wenn ich die Erfahrung gemacht habe, dass mein Lieblingsvorschlag (B) bei den Gesamtwiderständen in der Gruppe nicht am besten (also am niedrigsten) weggekommen ist, habe ich meine Mitsprachemöglichkeit bei allen anderen Vorschlägen (A, C, D, E), die noch gemacht wurden, verwirkt. Es kann also sein, dass dann ein Vorschlag die höchste Akzeptanz in der Gruppe hat, bei dem ich mehr oder im schlimmsten Fall sogar den meisten Widerstand habe – den habe ich aber beim Abstimmen nicht entsprechend ausgedrückt, weil ich allen meinen höchsten Einwand/Widerstand (je nach Skala 10 bzw. 3 Einwände/Widerstände) gegeben habe.

Sprich: Alle in einer Gruppe lernen nach und nach, dass Konkurrenz keinen Sinn macht, sondern es darum geht, gemeinsam den besten Vorschlag für alle zu finden.

Begeisterungspunktnummer 2

Darüber hinaus bin ich fasziniert, dass das Systemische Konsensieren einen besseren Minderheitenschutz als Mehrheitsverfahren bietet: In dem es nicht darum geht, (strategisch) FÜR meinen Lieblingsvorschlag zustimmen, sondern meine Widerstände ZU allen einzelnen Vorschlägen auszudrücken, gibt es nicht mehr die klassischen Gewinner (in der Regeln die Mehrheit) oder Verlierer (in der Regel die Minderheit) einer Entscheidung, wie im Mehrheitssystem.

Sofern die Gruppe dem Raum geben mag, kann man auch ganz wunderbar an den geäußerten Widerständen/Einwänden von Menschen zu einem Vorschlag anknüpfen und (ganz im Sinne der Gewaltfreien Kommunikation) danach fragen, welche Bedürfnisse durch den Vorschlag nicht erfüllt werden.

Begeisterungspunktnummer 3

Den dritten Punkt, den ich anbringen möchte: Wie der Name des Verfahrens bereits sagt, ist das Ziel des Systemischen KONSENSierens, eine Lösung zu finden, die einem KONSENS möglichst nahekommt. Wobei gleichzeitig nicht der Druck besteht, einen vollständigen Konsens erreichen zu müssen. Entscheidungen können deshalb von Einzelnen nicht „blockiert“ werden.

Begeisterungspunktnummer 4

Ach genau: Systemisches Konsensieren kann, wenn es einmal in eine Gruppe eingeführt und von dieser „erlernt“ wurde, Abstimmungen wahnsinnig effizient machen.

Wo kann man das lernen bzw. mehr erfahren?

Wen diese Art des Denkens und des Treffens von Entscheidungen in Gruppen anspricht, dem kann ich die Konsenslotsen Adela Mahling und Markus Castro bzw. Klaus Karstädt sehr ans Herz legen. Alle bieten entsprechende Weiterbildungen und Ausbildungen an.

Mehr Informationen zum Systemischen Konsensieren gibt es u. a. auf der Webseite der österreichischen Entwickler Erich Visotschnig und Siegfried Schrotta des Systems.

Danke dem Team vom Herbert-Wehner-Bildungswerk e. V., dass ihr dieses für mich wichtige Thema nach Dresden geholt habt!

Quellen: SK-Prinzip, Systemisches Konsensieren Berlin, K-training